Das Prekariat – ein neues Proletariat?

Ein Essay von Peter Rose

Rückkehr der sozialen Frage
„Gerade in der jetzigen Zeit tobt der Kampf um die Existenz mit furchtbarer Heftig­keit.“[1] Dieser Satz stammt aus dem Jahre 1913 und war damals im Vorwärts, der Parteizeitung der SPD, zu lesen. Fast 100 Jahre später berichtet die gleiche Zeitung im Februar 2010 über die immer größer werdende Not in Deutschland[2] und stellt auf der Titelseite die Frage: „Wer rettet den sozialen Staat?“. Demnach scheint das State­ment zum Existenzkampf aus den 1910er Jahren in gewisser Weise auch heute noch zuzutreffen. Haben also die gesellschaftli­chen Verhältnisse und Probleme von 1913 mit denen der Gegenwart etwas gemeinsam – und: wie viel politi­sche Sprengkraft steckt in einer Zuspitzung der sozialen Lage?

Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert durch Industrialisierung und Urba­nisierung entstandene soziale Frage schien in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Wirtschafts­wunder der 1950er und 1960er Jahre bis in die 1990er Jahre hinein durch die soziale Markt­wirt­schaft beantwortet zu sein. Um die Jahrtausendwende traten dann aber die zunehmenden sozia­len Unterschiede der verschiedenen Bevölkerungsschichten im wiederver­einigten Deutsch­land klar in Erscheinung und erinnern ein wenig an die Zeit der wilhelmi­nischen Klassenge­sellschaft mit ihren damaligen sozialpolitischen Problem­feldern.

Proletariat und Solidarität um 1910
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Deutschen Reich um 1910 waren geprägt durch ein enormes Bevölkerungswachstum. So lebten in Deutschland zur Zeit der Reichs­gründung 1871 etwa 49 Millionen Menschen, während es 1913 fast 67 Millionen waren, also ein gutes Drittel mehr.[3] Auf der Suche nach Arbeit strömten massenhaft junge Menschen aus den landwirtschaftlichen Gebieten im Osten Deutschlands in die expandierenden Industrie­regionen mit ihren rasant wachsenden Städten.

In der prosperierenden Volkswirtschaft des Kaiserreichs um 1910 mit einer relativ gerin­gen Arbeitslosenquote zwischen zwei und drei Prozent[4] – nach heutigen Maßstäben quasi Vollbeschäftigung – waren die Lebens­bedingungen für große Teile der neu entstande­nen In­dustriearbeiter­schaft trotzdem alles andere als rosig. Die Neuankömmlinge vom Lande muss­ten sich in den pulsieren­den Großstädten den urbanen Lebensverhältnissen anpassen. Es gab für die neu hinzugezoge­nen Massen bei weitem nicht genügend Wohnraum. In vielen Städten ent­standen in aller Eile hochgezogene Arbeiterquartiere mit schlecht ausgestatten Mietskaser­nen, deren Wohnungen meist nur ein Zimmer und eine Küche hatten. Viele Arbeiterfami­lien hatten Schwierigkeiten, die Miete selbst für eine solch bescheidene Unterkunft regelmäßig aufzu­bringen, so dass sie das einzige Zimmer an so genannte Schlafgänger, junge Frauen und Män­ner ohne eigene Wohnung, untervermieteten. Die vielköpfige Familie musste dann in der ih­r als einzigem Wohnraum verbliebenen Küche hausen.[5] Aus diesem sozialen Umfeld der städtischen Industriearbeiterschaft entstand der Kern einer sozia­len Klasse mit gemeinsamen Interessen, gemeinsamer Ideologie und Konfliktbereit­schaft, gemeinsamen politischen Organisationen, gemeinsamer Sozialmentalität, ge­meinsamer Kultur – kurzum: einem gemeinsamen Weltbild.[6]

Das Sinn und Identität stiftende Schlag­wort dieser neuen sozialen Klasse des Industrieproletariats war Solidari­tät. Neben den vielen Ge­mein­samkeiten gab es signifikante Unterschiede innerhalb der lohnabhän­gigen Industrie­ar­beiter­schaft: Einerseits die gut ausgebildeten und gut bezahlten Facharbeiter mit relativ siche­ren Arbeitsplätzen, andererseits ein Millionenheer von An­gelernten, Ungelernten, Tage­löh­nern und Gelegenheitsarbeitern, die bei konjunkturellen Einbrüchen der Wirtschaft kurz­fristig „auf der Straße saßen“. Ältere Arbeitslose ab 40 Jahre fanden nur schwer wieder in „Lohn und Brot“ zurück, meist nur zu deutlich schlechteren Konditionen.

Trotz der Differenzierung der Arbeiter innerhalb der Betriebe entwickelte sich „nach Feierabend“ in ihren Wohnvierteln eine Homogenisierung der Arbeiterschaft, wie sie zur He­raus­bildung eines sozialen Klassenbewusstseins nötig ist. Diese Vereinheitlichung wurde „durch die Gemein­samkeiten der proletarischen Lebenswelt und des proletarischen Milieus“ [7] in Arbeiterverei­nen, in Einrichtungen der Gewerkschaften und der damals aufstrebenden SPD und nicht zu­letzt in den Kommunikationszentren der Arbeiter-wohnquar­tiere, den Eck­kneipen, voran ge­bracht. Sowohl der starke staatliche Druck auf Sozialdemokraten und Ge­werkschaften als auch die Diskriminierung und Aus­grenzung durch das Bürgertum haben eine Eini­gung der Arbeiterklasse eher geför­dert und nicht, wie damals in den bürgerlichen Kreisen er­hofft, zu verhindern vermocht.

Die Arbeiter hatten sich in ihrer proletarischen Subkultur häuslich eingerichtet: Das eng­maschige sozialdemokra­tische Netzwerk bot ihnen und ihren Familien von der Wiege bis zur Bahre Zuflucht und die Hoffnung auf eine in ihren Augen gerechtere Gesellschaft.[8] Durch die mitgliederstarken Gewerk­schaften und die Wahlerfolge der Sozial­demokraten – bei der Reichstagswahl 1912 wurde die SPD zur stärksten Partei – erlangte die Arbeiterklasse ein be­achtliches Maß an politischer Macht und konnte schrittweise Verbesserungen ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen durchsetzen. Es ging also vorwärts und die Ar­beiter blickten damals eher hoffnungsvoll in die Zukunft – wenn auch dieser optimistische Blick sehr trügerisch war, wie wir heute, ausgestattet mit der „Gnade der späten Geburt“ (Helmut Kohl), wissen.

Prekariat und Individualität 2010
Die Bundesrepublik Deutschland steht vor dem Problem, das bis vor einigen Jahren noch als vorbildlich geltende System der sozialen Absicherung aufrecht zu erhalten. Geringes wirt­schaftliches Wachstum, eine hohe Arbeitslosenquote und der dramatische demografische Wandel stellen das bisherige System in Frage und lassen das „soziale Netz“ immer löchriger werden. Um die hohe Sockelarbeitslosigkeit zu verringern, wurde der Arbeitsmarkt bereits dereguliert und der Kündigungsschutz gelockert. Aus Sicht der Arbeitgeber kann seitdem fle­xibler auf konjunkturelle Schwankungen reagiert werden und die verantwortlichen Politiker hoffen, dass die Liberalisierung des Arbeits­marktes dauerhaft neue Arbeitsplätze schaffen wird. Diese Maßnahmen haben zwar eine kurzfristige Senkung der Arbeitslosenquote be­wirkt, aber um welchen Preis?

Im wirtschaftlichen Kontext von Globalisierung plus Modernisierung – noch verstärkt durch das gewal­tige Beben der Finanzkrise – wird die Arbeitswelt gegenwärtig umstruktu­riert. Die Beschäftigungsverhältnisse vieler Arbeit­nehmer befinden sich in einem fortdauer­den Veränderungsprozess. So werden die bisher in Deutschland vorherrschenden unbefris­teten Arbeitsverträge zunehmend durch zeitlich begrenzte Verträge ohne tariflichen Schutz ersetzt. Diese Entwicklung führt dazu, dass sich soziale, rechtliche, materielle und berufliche Un­sicherheiten von Arbeitnehmern immer weiter ausbreiten.

Die Gruppe von Menschen, die nur be­fristete, jederzeit kündbare Arbeitsplätze haben, also in sehr unsicheren bzw. prekären beruflichen Verhältnissen leben, wird seit einigen Jah­ren als Prekariat bezeichnet. Diese prekär beschäftigten Arbeitnehmer sowie die Klein- und Subunternehmer, sogenannte Ich-AGs, sind Grenzgänger in einer veränderten Arbeits­welt. Sie müssen sich „durch das unwegsame Gelände von Minijobs, Praktika, Leiharbeit, befristeten Tätigkeiten und staatlichen Unterstützungsleistungen“[9] kämpfen. Die Prekarier befinden sich dauerhaft im Niemandsland zwischen Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit und leben buchstäblich von der Hand in den Mund. Für eine Zukunftssicherung oder Altersvor­sorge haben sie kaum einen finanziellen Spielraum, so dass sich ihre prekäre Lage mit zu­nehmendem Alter wahrscheinlich noch verschärfen wird.

Gewollt oder ungewollt erinnert die Wortschöpfung Prekariat an Proletariat, einen Begriff aus der Zeit des Klassenkampfs, der seit dem Ende des real existierenden Sozialismus in Deutschland und Europa weitgehend in der historischen Versenkung verschwunden ist. Die begriffliche Ähnlichkeit und die vielen Gemeinsamkeiten der prekär Beschäftigten heute und vieler Industriearbeiter damals dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einen gravierenden Unterschied zwischen diesen beiden gesellschaftlichen Gruppierungen gibt: Das Prekariat im Jahre 2010 hat einen deutlich geringeren gesellschaft­lichen Einfluss im Vergleich zur politischen Macht des Proletariats um 1910. Die Prekarier heute sind eine zersplitterte, anonyme Masse ohne kollektiven Zu­sammen­halt – geradezu ein Beispiel von „negativem Individualismus“[10]. Die Menschen dieser neuen „gesellschaftlichen Zwischen­schicht“[11] sind hin und her gerissen zwischen Äng­sten vor weiterem sozialen Ab­stieg und der vagen Hoffnung auf sta­bilere wirtschaftliche Ver­hält­nisse. Die dem Prekariat zugerechneten Menschen sind mit ihren großen Sorgen und Nöten weitgehend auf sich al­lein ge­stellt und blicken eher negativ in die Zukunft, oft nach dem Motto „Früher war alles besser“.

Blick zurück nach vorn
Im Gegensatz zu 1910, als die soziale Frage im Kaiserreich ganz oben auf der Tages­ordnung stand und als ernsthafte Bedrohung für das damalige Gesellschaftssystem wahrgenommen wurde, neigen Teile der wirtschaftlichen und politischen Eli­ten der Bundes­republik im Jahre 2010 noch immer zur Verharmlosung sozialer Probleme und sozialer Ungerechtigkeit. Von einer Chancengleichheit kann heute kaum noch gesprochen werden, so dass die Durchlässig­keit zwischen den sozialen Schichten abnimmt,was viele Menschen zu dauerhaften Verlierern werden lässt. In unserer Gesellschaft, in der Arbeit und Leistung im Mittelpunkt stehen und als allge­mein anerkannte Wertmaßstäbe für Erfolg oder Misserfolg jedes einzelnen Indi­viduums ge­lten, können Zukunftsängste und Hoffnungslosigkeit großer Teile der Bevölke­rung zu prekä­ren politischen Verhältnissen führen. Die gesellschaftliche Unsicherheit be­günstigt ver­stärkte Ressentiments gegen andere, in der Regel noch schwächere Bevölke­rungs­gruppen. Man­gelnde Solidarität innerhalb der Gesellschaft kann bei der zunehmenden Anzahl von Mo­derni­sierungsverlierern dazu führen, dass sie den Lockrufen extremer politi­scher Parteien folgen. Da das heutige Prekariat im Gegensatz zum damaligen Prole­tariat nicht als geschlossener Block in Erscheinung tritt, wird diese Gefahr möglicher­weise unterschätzt, aber gerade die deutsche Vergangenheit zeigt, welche gefährlichen Entwick­lungen möglich sind.

Ohne Frage ist die materielle Not, wie sie einen großen Teil der Arbeiterschaft vor 100 Jahren heimgesucht hat, heute durch staatliche Transferleistungen deutlich gemildert worden. Die seelische Not hingegen, die durch den Verlust der Selbstachtung entsteht, wenn ein Mensch für sich und seine Familie nicht oder nur unzureichend mit seinem Arbeitslohn sor­gen kann und auf staatlichen Zuwendungen angewiesen ist, wird heute vermutlich ähnlich groß wie damals sein. Der aktuell propagierte Individualismus mit der Aufforde­rung zu Selbstbehauptung und Durchsetzungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt überfordert viele Ar­beitnehmer und sie werden langsam aber sicher in das Prekariat oder die Arbeitslosigkeit ab­gedrängt. Die wachsende Bedrohung ebenfalls zu Verlierern zu werden, löst bei den noch fest an­gestellten Arbeitnehmern Ängste und Reflexe aus, die zu einer Mitleidlosigkeit gege­nüber den prekär Beschäftigten bzw. den Arbeitslosen führen. Neben den materiellen Ein­schrän­kungen hat das Prekariat heute also unter einer zunehmenden Entsolidarisierung der Ge­sell­schaft zu leiden, was eine positive Zukunftsperspektive für die betroffenen Menschen zu­sätz­lich erschwert und sie möglicherweise politisch unberechenbar werden lässt. Die wich­tige Errungenschaft der individuellen Freiheit darf meines Erachtens nicht dahingehend fehl­ge­deutet werden, dass jeder Mensch sich ausschließlich um sich selbst und sein eigenes Wohl zu kümmern hat. Auch wenn das Wort Solidarität heutzutage ein wenig angestaubt klingen mag, so kommt doch keine lebenswerte Gesellschaft ohne einen solchen Gemeinsinn aus.

Die Brisanz der sozialen Frage des 21. Jahrhunderts bedarf einer möglichst raschen Ant­wort, nur welcher? Eine zukünftige „Diktatur des Prekariats“ – ähnliche politische Modelle sind bekann­terma­ßen schon einmal gescheitert – wäre ebenso wenig wünschenswert wie ein Rückfall in das unsoziale Gedankengut des Sozialdarwinismus mit seiner These „Survival of the Fittest“, was etwa einem ungezügelten „Raubtierkapitalismus“ (Helmut Schmidt) gleich­käme. Vielmehr sollten alle gesellschaftlichen Kräfte gemeinsam nach einer sozial ausglei­chenden und möglichst gerechten politischen Lösung zwischen sinnvoller staatlicher Inter­vention und einem vernünftigen Maß an unternehmerischer Freiheit zu suchen.

Quellen und Literatur

Vorwärts, Berlin, 30, Nr. 309, 24.11.1913, Beilage, in: Quellen zur Alltagsgeschichte der Deutschen 1871-1914. Hg.: Jens Flemming, Klaus Saul, Peter Christian Witt,
Darmstadt 1997, S. 178-181.

Vorwärts – das Monatsblatt für soziale Demokratie, Berlin, Februar 2010.

Robert Castel: Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit, Konstanz 2000.

Gerhard A. Ritter, Klaus Tenfelde: Arbeiter im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914,
Bonn 1992.

Volker Ullrich: Die nervöse Großmacht 1871-1918. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs, Frankfurt/M. 2007.

Berthold Vogel: Das Prekariat – eine neue soziale Lage?, in: Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung – Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts, hg.. v.: Robert Castel, Klaus Dörre, Frankfurt/M. 2009, S. 197-208.

Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Dritter Band. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849-1914, München 1995.

Anmerkungen:


[1] Vorwärts, Berlin, 30, Nr. 309, 24.11.1913, Beilage, in: Quellen zur Alltagsgeschichte der Deutschen 1871-1914, hg. v: Jens Flemming, Klaus Saul, Peter Christian Witt, Darmstadt 1997, S. 179.
[2] Susanne Dohrn: Die Not wird immer größer, in: Vorwärts, Berlin, Februar 2010, S. 6.
[3] Volker Ullrich: Die nervöse Großmacht 1871-1918. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs, Frankfurt/M. 2007, S. 135.
[4] Gerhard A. Ritter, Klaus Tenfelde: Arbeiter im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914, Bonn 1992, S. 241.
[5] Vgl. ebd. S. 587ff.
[6] Vgl. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Dritter Band. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849-1914, München 1995, S. 784.
[7] Ebd. S. 783.
[8] Vgl. Volker Ullrich: Die nervöse Großmacht, S. 304f.
[9] Berthold Vogel: Das Prekariat – eine neue soziale Lage?, in: Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung – Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts, hg.. v.: Robert Castel, Klaus Dörre, Frankfurt/M. 2009, S. 201.
[10] Robert Castel: Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit, Konstanz 2000, S. 404.
[11] Vogel: Prekariat, S. 201.

Ein Gedanke zu „Das Prekariat – ein neues Proletariat?“

  1. Die Lösung der Sozialen Frage

    „Weder der Liberalismus noch der Sozialismus vermag in seiner historischen Form (Anmerkung: darüber sind wir bis heute nicht hinaus!) die soziale Frage zu lösen. Die echte Lösung in Form der Natürlichen Wirtschaftsordnung vereinigt die berechtigten Anliegen dieser beiden Bestrebungen, nämlich die soziale Gerechtigkeit mit einem Höchstmaß an persönlicher Freiheit, schließt aber ebenso den kapitalistischen Missbrauch der wirtschaftlichen Freiheit endgültig aus wie ihre Einengung durch staatlich-bürokratische Planwirtschaft. Erst sie begründet eine wahrhaft freie Wirtschaft ohne private Vorrechte und staatliche Bevormundung, eine monopolfreie und darum auch ausbeutungsfreie Vollbetriebswirtschaft, die jedem die gleiche Freiheit und die gleichen Vorbedingungen zur Entfaltung seiner Kräfte gewährleistet.
    …Die Natürliche Wirtschaftsordnung fördert das Wohl der Gesamtheit, indem sie dem Wohl aller einzelnen dient. Daher nimmt sie dem Gegensatz zwischen Gemeinnutz und Eigennutz jenen zuspitzenden und unversöhnlichen Charakter, der nur durch die kapitalistische Entartung der liberalistischen Wirtschaft entstand. Sie beseitigt alle Monopole, ohne an ihre Stelle staatliche zu setzen, indem sie lediglich die beiden entscheidenden Monopole, nämlich das Geld- und Bodenmonopol der Kontrolle der Allgemeinheit unterstellt. Der Arbeiter braucht in dieser Wirtschaftsordnung zur Wahrung seiner Rechte weder die Hilfe des Staates noch den Schutz gewerkschaftlicher Organisationen, weil er als gleichberechtigter Vertragspartner ebenso wie der Arbeitgeber seine Bedingungen und Forderungen stellen kann. Denn die … Situation, die im Kapitalismus zu einem erpressten Vertragsabschluss mit Ausbeutung des Arbeiters … führt, erfährt einen grundsätzlichen Wandel, weil die Arbeit … in einer monopolfreien Vollbetriebswirtschaft zur gesuchtesten und daher umworbensten Mangelware wird. Daher steigt ihr Preis bis zum überhaupt möglichen Höchstwert, nämlich bis zur Höhe des vollen Arbeitsertrages auf Kosten der Kapitalrente in allen ihren Formen wie Zins, Dividende und Spekulationsgewinn.“

    Dr. Ernst Winkler (Theorie der Natürlichen Wirtschaftsordnung, 1952)

    Wer „politisch“ denkt, hat noch gar nicht angefangen zu denken. Die Makroökonomie ist die Basis allen menschlichen Zusammenlebens und nicht die „hohe Politik“. Politik ist nur der Versuch, etwas „regeln“ zu wollen, was nicht geregelt werden kann, solange es sich durch das vom Kapitalismus befreite Spiel der Marktkräfte nicht selbst regelt. Grundvoraussetzung des selbständigen Denkens, sofern es das zivilisierte Zusammenleben im weitesten Sinne betrifft, ist der elementare Erkenntnisprozess der „Auferstehung aus dem geistigen Tod der Religion“:

    http://www.deweles.de/willkommen/cancel-program-genesis.html

Kommentare sind geschlossen.